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QS | 28.10.2004 |
zu den Texten |
Der Knick der Geschichte | ....................... |
Eindrucksvoll: die Deutz-Mülheimer Straße aus Künstlersicht | ||
Wie sich mittels Kunst die Geschichte einer Straße besser verstehen lässt, zeigt Susanne Pomrehn auf Einladung des Kunstvereins Köln rechtsrheinisch im Mülheimer Art Store. | ||
VON JÜRGEN KISTERS | ||
Mülheim - "Was machen sie denn hier? Ich sehe sie immer hier sitzen." Jeden Tag kommen Menschen von der Straße herein in den Art Store und konfrontieren Susanne Pomrehn mit Bemerkungen dieser Art. Dann erklärt die in Berlin lebende Künstlerin (Jahrgang 1962) ihr Projekt, das von eben dieser Straße handelt: der Deutz-Mülheimer Straße nämlich. Seit Wochen treibt sie sich dort herum, erkundet Gebäude und Geländestücke, spricht mit den Menschen dort und hat inzwischen mehr als 1500 Fotos von der Gegend zwischen Mülheimer Brücke und Zoobrücke gemacht. | ||
Schon vorher hat sie mehrere ortsbezogene Kunstprojekte entwickelt, allerdings noch keines mit einem solchen Umfang. Geplant hatte sie das zunächst gar nicht, als sie der Kunstverein Köln rechtsrheinisch (KKr) zu der Ausstellung einlud. Doch nachdem sie die Räume des KKr an der Deutz-Mülheimer Straße gesehen hatte, fand sie nichts anderes sinnvoll als eine ortsbezogene künstlerische Recherche, um ein Spannungsfeld zwischen dem Kunstort und seiner Umgebung zu schaffen. Der gewaltige Umfang der künstlerischen Arbeit - basierend auf einer nahezu unüberschaubaren Materialfülle - ergab sich dann unweigerlich aus dem Charakter der Straße mit ihrer langen, bewegten Geschichte, die mitten durch riesige Fabrikanlagen aus dem 19. Jahrhundert verläuft, mit Nebenstraßen zum Rhein hin und in Wohngebiete hinein, etwa in die Stegerwald-Siedlung. | ||
Die Geschichte der weltbekannten Motorenfabrik Klöckner Humboldt Deutz, der heutigen Deutz AG, und der Druckfarbenfabrik Lindgens und Söhne (heute Penox) fällt in der komplexen skulpturalen Fotocollage, die sich schwebend an Nylonfäden und über die Wände des gesamten Ausstellungsraumes erstreckt, buchstäblich ins Auge. "Die Firmen sind sehr kooperativ gewesen und haben mir ihre Archive geöffnet", sagt Susanne Pomrehn. Bewusst hat sie sich in ihrer künstlerischen Arbeit auf fotografisches Material beschränkt. Nicht nur, weil es seit Jahren ihr bevorzugtes künstlerisches Element ist. Sondern auch, um zu zeigen, dass es bei geschichtlichen Recherche-Prozessen nie um die Vergangenheit geht, sondern um die Bilder, die man sich in der Gegenwart von vergangenen Dingen und Ereignissen macht. Es geht um Geschichte und Geschichten. Und das heißt: es geht um Erinnerungen und Interpretationen. Das unterstreicht Pomrehns zentrale kreative Technik: das Zerschneiden, Neu-Collagieren und Knicken von Fotos, um sie so auf unerwartete Weise zu beleben. Sie schafft so Verknüpfungen und Bezüge, Irritationen und Lücken, in die unweigerlich die Fantasie hineindrängt. | ||
"Ich kann Orte und meine künstlerische Arbeit immer weniger auseinander dividieren", erklärt Pomrehn. "Jeder Ort hat seine Geschichte. Die will ich erforschen und mir ein subjektives Bild davon machen." Geschichtsforschung und aktuelle Feldstudie fließen untrennbar ineinander und schaffen ein filigranes Gebilde aus unzähligen bildlichen Einzelheiten. Die Erkenntnis: Nichts ist nur Geschichte, so wie nichts nur Gegenwart ist. | ||
Pomrehn nennt es eine fantastische Erfahrung, welch interessante Dinge in einer scheinbar heruntergekommenen Durchgangsstraße zu entdecken sind: historische Industriehallen von einzigartigem Denkmalwert neben einem Plastiktütenhersteller zum Transport von Zierfischen, das zeitgemäße Hotel neben dem Fernsehproduktionsstandort, Sozialwohnungen neben dem Verwaltungsgebäude der Motorenfabrik. | ||
So schafft Pomrehns Kunstwerk eine fast ideale Grundlage, um sich mit den Verwandlungsprozessen zu beschäftigen, denen Städte und ihre Viertel seit Jahrhunderten unterliegen. Dass es sich bei der Deutz-Mülheimer-Straße um eine Region handelt, die nahezu sinnbildlich für den Strukturwandel im rechtsrheinischen Köln steht, ist nur bedingt ein Zufall. Denn es gehört zum Wesen des modernen Strukturwandels, dass dort, wo sich die Industriefabrikation zurückzieht, Kunst und Kultur eine besondere Rolle spielen. Dies belegen nicht zuletzt die Ansiedelungen des KKr und des Kunstwerkes in dieser Straße. | ||
| Art Store, Deutz-Mülheimer-Straße 210-214, Freitag, 29. Oktober, ab 17 Uhr; vom 2. November bis 6. Januar, 17-20 Uhr. |